Creativity meets AI
Zuversicht und Neugier im Umgang mit Künstlicher Intelligenz verdrängen zusehends Ängste und Sorgen. Diesen Eindruck hinterließ das diesjährige AI Masters von Publicis Media. Zahlreiche Unternehmen berichteten freimütig aus ihren Erfahrungen, internationale Experten steuerten Visionen und Ideen bei.
Über 400 Teilnehmer trafen sich Ende Januar im Berliner Cafe Moskau, um den aktuellen Stand der Entwicklungen in Sachen Künstlicher Intelligenz zu beleuchten. Im Vergleich zum Vorjahr hatte sich die Teilnehmerzahl somit noch einmal gesteigert. Das war ein Stückweit überraschend: Zwar ist KI zur Zeit in aller Munde, sie ist aber eine Infrastrukturtechnologie, die so viele verschieden Anwendungsfelder hat, wie es Wertschöpfungsstufen und Branchen gibt. Diese Diversität zeigte sich im Programm aber als großer Vorteil: ob die Überlegungen zur zukünftigen Produktpolitik von Beiersdorf oder die KI-unterstützte Personalarbeit bei einem türkischen Telekommunikationsunternehmen – in jedem Szenario stecken wichtige Erkenntnisse für Jedermann.
Die übergreifende Erkenntnis der Veranstaltung aber ist, dass KI durchaus in deutschen Unternehmen angekommen ist, vor allem auch im Mittelstand. Die Maschinenbauer von Dräger aus Lübeck zeigten, wie man mit Hilfe eines klugen Chatbots auf Facebook die Serviceinfrastruktur schneller machen und entlasten kann.
Beiersdorf bereitet sich im Marketing darauf vor, immer mehr Marketing für Maschinen und Algorithmen zu machen, die dann letztlich entscheiden, ob ein Produkt von Amazons Echo empfohlen wird, oder nicht. „Viele unserer Produkte haben niedrige Preise und bieten Amazon nicht viel Marge“, erklärt Innovationsscout Dirk Ploss. Um in den KI-Systemen besser präsent zu sein, denkt man darüber nach, Einzelprodukte zu Paketen zu bündeln. Eine sehr analoge Reaktion auf eine neue, digitale Herausforderung.
Aber Beiersdorf nutzt die KI auch selbst, zum Beispiel um die Bewertungen von Nutzern zu analysieren. „In Indien werden unsere Deos eher wie Parfums benutzt, also müssen wir im Marketing den Duft in den Vordergrund stellen“, sagt Ploss.
Das Verarbeiten großer Datenmengen ist freilich der naheliegendste Anwendungsfall für die KI. Beim türkischen Kommunikationsanbieter Turkcell liefen 2017 80.000 schriftliche Bewerbungen ein. Also suchte man nach einer Lösung, zumindest die Vorauswahl zu automatisieren. Aus dieser Keimzelle entwickelte sich eine komplexe KI-Strategie für das Personalmanagement mit neun unterschiedlichen KI-Modulen. Die HR-Abteilung ist bei Turkcell inzwischen die treibende Kraft in Sachen KI für das ganze Unternehmen geworden. „Wir haben herausgefunden, dass selbst Top-Talente unser Unternehmen nicht verlassen, wenn sie innerhalb der Firma heiraten“, erklärte Data Scientist Semih Kumluk mit einem Augenzwinkern. Eine unmittelbare, strategische Konsequenz für diese Erkenntnis hat Turkcell nicht.
Viel Zuspruch für ihre Präsentationen bekamen auch Ben Royce und Gabriele Horcher. Beide zeigten zahlreiche Beispiele für spannende Anwendungsfälle, waren aber auch besonders bemüht darzustellen, dass die Einstiegshürde in Sachen KI-Nutzung nicht besonders hoch ist. Jede Menge kostenloser oder preiswerter Tools laden zu schnellen ersten Experimenten ein.
Für die kritischen Töne zum Maschinenzeitalter waren Ranga Yogeshwar, Anastassia Lauterbach und David Shing verantwortlich, die die Keynotes zum Auftakt und zum Ende der Veranstaltung hielten. Wissenschaftsjournalist Yogeshwar beschwor den Aufbau von mehr Knowhow, um hierzulande Algorithmen auch prüfen zu können. „Wir laufen Gefahr, uns von einem digitalen Orakel abhängig zu machen. Das widerspricht der Idee der Aufklärung“, so der Bonner.
Anastassia Lauterbach schaut mit einem neidischen Blick in Richtung China. „Programmieren lernen dort schon die Kleinsten im Kindergarten“. Hatte sie im Vorfeld der AI Masters dem „Handelsblatt“ erzählt.
David „Shingy“ Shing von Verizon Media kritisierte in seiner launigen Keynote den viel zu technokratischen Blick auf die Künstliche Intelligenz. Er sieht die KI als Hilfsmittel und Zulieferer für viele Arbeitsprozesse, aber selten als Ersatz. „Kultur, das ist heute die Kombination aus Kreativität und Code. Nichts existiert für sich allein.“
Die zweite AI Masters entfaltete ihre ganz eigene Kultur. Den ganzen Tag über wurde in Kleingruppen intensiv diskutiert und selbst beim abendlichen GetTogether konnten sich nur die wenigsten Teilnehmer von den Fachthemen lösen, auch wenn Shingy behauptet hatte, dass KI das langweiligste Gesprächsthema für eine Party sei. Das sahen die Masters-Besucher ganz anders. Sie diskutierten bis tief in die Nacht und feierten gemeinsam mit epicinsights, einem Personalisierungsdienstleister, der den Startup-Award gewann, um sich dann am nächsten Morgen in die vertiefenden Workshops zu stürzen.
KI ist in deutschen Unternehmen angekommen und zumindest die Teilnehmer der AI Masters versprühten unglaublich viel Lust auf Neues. Und für alle, die jetzt auch neugierig geworden sind: Die Interviews mit Referenten sind inzwischen online.
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